Mathematik zum Anfassen im Heinz Nixdorf Museumsforum (HFN)

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) veranstaltet seit 2000 zusammen mit der Initiative Wissenschaft im Dialog die Wissenschaftsjahre. 2008 fiel nun die Wahl auf das Fach Mathematik. Zahlreiche Partner aus Wissenschaft, Kultur und Politik beteiligen sich bundesweit mit vielfältigen Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerben und Festivals dazu ein, Mathematik zu erleben. Eine Gelegenheit, die Vielfalt und die Bedeutung der Mathematik kennen zu lernen und die Faszination für diese Wissenschaft zu spüren, ist die Sonderausstellung „Zahlen, bitte! Die wunderbare Welt von null bis unendlich“ im Heinz Nixdorf Museumsforum (HFN) vom 1. Februar bis 20. Juli 2008. 700 Quadratmeter Ausstellungsfläche bieten den Besuchern eine spannenden und unterhaltsamen Rundgang durch die Welt der Zahlen, der an 100 Exponaten entlang führt und zehn Stationen umfasst. Unter den Ausstellungsobjekten befinden sich Leihgaben aus den USA, Deutschland und Belgien. Unter anderem laden verschiedene Inszenierungen und multimediale Installationen die Besucher zum Mitmachen ein. Dass auch Zahlen etwas Faszinierendes haben und Mathematik keineswegs nur abstrakte Theorie ist, wird bei dem Rundgang durch das 3. Obergeschoss des HFN deutlich. Gleich zum Auftakt geht es in die Manege des Zahlenzirkus, in der nicht nur die Kinder auf ihre Kosten kommen. Historisches Spielzeug zeigt, wie früher Rechnen gelernt wurde. Und Graf Zahl aus der Sesamstraße erklärt, wie es heute geht. Hier erfahren die Besucher spielerisch, wie man durch das Fallenlassen von Mikadostäbchen Pi berechnet oder welche Bedeutung Zahlen in der Musik haben. Wer will, kann sich selber messen oder Zahlen malen. Speziell für die Ausstellung hat die Karlsruher Künstlerin Patricia Waller eine Schafzählmaschine entwickelt und eine Zahlen-Ananas gehäkelt. Anschließend führt der Rundgang zur Kulturgeschichte der Zahl. Thema dieses Bereichs sind der Umgang mit Zahlen in Naturvölkern sowie die Frage, welche Zahlensysteme es überhaupt gibt. Das Naturwissenschaftliche Museum in Brüssel hat für das HNF eine detailgenaue Nachbildung des Ishango-Knochens, des vermutlich ältesten mathematischen Objekts der Welt, angefertigt. Das zehn Zentimeter große „Kerbholz“ ist rund 20.000 Jahre alt. Dann geht es weiter zur den Großmeistern der Zahlen. Jeder kennt des Satz des Pythagoras, hat schon einmal etwas von Archimedes oder Gauß gehört. In der Galerie der Zahlenmeister werden die zehn wichtigsten Köpfe der Mathematik mit ihrem Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaft präsentiert. Auf dieser Grundlage nähert sich der Betrachter der praktischen Anwendung von Mathematik in der Vermessung der Welt. Gezeigt werden Instrumente und Werkzeuge der Landvermessung wie Sextanten und Atlanten. Besonders augenfällig wird die Bedeutung von Zahlen bei See- und Wetterkarten. Die Besucher können sich mit Hilfe eines interaktiven Zahlenfernrohrs als Landvermesser betätigen und Entfernungen in der Ausstellung entlang eines Zahlenstrahls messen. Dann wird es etwas theoretischer. Zunächst geht es um mathematisch fassbare Gesetze und Regelmäßigkeiten in der Natur. Nur wenige wissen, dass das Aussehen der Blüten von Sonnenblumen, Tannenzapfen oder Blumenkohl von einer mathematischen Folge, der so genannten Fibonacci-Folge, bestimmt wird. Die wiederum bildet auch die Grundlage des Goldenen Schnitts, der nicht nur antiken Gebäuden, sondern auch in der Bild- und Grafikwelt unserer Tage eine große Rolle spielt. Was folgt, ist die Theorie der Zahl mit der Struktur des Zahlsystems. Es geht um die Entdeckung der Null, die rätselhaftesten Zahlen – die Primzahlen – und natürlich darf auch Pi nicht fehlen. Dabei erfahren die Besucher, dass es erstaunlich viele Methoden gibt, Pi zu bestimmen. Eines der kuriosesten Exponate der Ausstellung, ein „mechanisches Zahlensieb“ aus Fahrradketten, mit dem man Gleichungen lösen kann, befindet sich in diesem Bereich. Erfunden hat es der US-amerikanische Zahlentheoretiker Derrick Lehmer 1926, und das Computer History Museum in Kalifornien hat dem HNF seinen Nachbau zur Verfügung gestellt. Praktische Anwendungen der Theorie sind die Wahrscheinlichkeitsrechnung und Glückszahlen. Im Mittelpunkt dieses Themenbereichs steht ein Roulettekessel. Hier findet sich auch einer der ersten „Wearable Computer“, der 1955 von Edward Thorp und Claude Shannon entwickelt wurde, um die Rotation und den Kugellauf beim Roulette zu analysieren. Weiter sind eine bedeutende Würfelsammlung sowie eine Auswahl historischer Würfelmaschinen zu sehen. Ebenso zählen historische Lottoziehungsgeräte sowie eine Maschine des Hessischen Rundfunks zu den Exponaten, die aus der Welt des Glückspiels stammen. Dass sich auch die Wahrscheinlichkeit berechnen lässt, mit der eine beliebige Zahlenkombination im Lotto erfolgreich ist, zeigt eine Musterrechnung. Sie ergibt eine Wahrscheinlichkeit, sechs Richtige (mit Superzahl) zu tippen, von etwa 1:140.000.000 – und ähnlich unwahrscheinlich ist es, einen Tresor mit Zahlenschloss zufällig zu öffnen, was die Besucher gleich selbst ausprobieren können. Die letzten Themen widmen sich der völkerkundlichen Behandlung von Zahlen, der Bedeutung von Zahlen für unseren heutigen Alltag und schließlich der Frage, ob Tiere ein Verständnis von Zahlenverhältnissen und Mengen entwickeln. Was bei Tiere spekulativ ist, hat bei Menschen durchaus Hand und Fuß. So gehören Zahlzeichen zu den ältesten Spuren menschlicher Schrift. Schon in der Altsteinzeit finden wir sie als Kerben in Knochen. Offenbar kamen viele Kulturen und Naturvölker mit einem reduzierten Zahlensystem aus. So rechneten manche Völker der Südsee mit Werten von maximal zehn. Heute hingegen sind Zahlen allgegenwärtig – vom Verkehrsschild über die Uhr bis zum Telefon sind wir in unserem Alltag von Zahlen umgeben. Dies zeigt die Videoinstallation „Watch Berlin“, die aus einer typologischen Sammlung unterschiedlicher Zahldarstellungen des Berliner Alltags besteht. Interessant ist nicht nur die Aufbereitung des Themas in sehenswerten Szenarien, die leicht eingängig Zahlen als Alltagsgegenstand in den Blick nehmen. Und dies sogar mit Bezug auf Eingang und Ausgang der Ausstellung selbst. So passiert jeder Besucher auf dem Weg in die Ausstellung auf der Rolltreppe einen akustischen Countdown, um direkt am Eingang von einer Collage aus Videobildern zum Thema „Zahlen in Bewegung“ begrüßt zu werden. Sie zeigt Szenen, die von einem Forscherteam aus Graz speziell für die Ausstellung mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen wurden. Mitten in der Ausstellung begegnet der Besucher einer „Unendlichkeitsmaschine“, einem beeindruckenden Beispiel mechanisch veranschaulichter Mathematik: Während sich das erste Zahnrad mit 200 Umdrehungen pro Minute dreht, hat sich innerhalb einer Umdrehung des letzten Zahnrades das Alter des Universums verhundertfacht. Das HNF hat diese Idee des US-amerikanischen Künstleringenieurs Robert Ganson nachgebaut. Und zum Abschluss wartet das „Hilbert-Hotel“, eine Inszenierung zum Paradoxon der Unendlichkeit.Eineinhalb Jahre hat sich das Kuratorenteam zusammen mit den Ausstellungsdesignern um Prof. Gerhard Diel auf die Ausstellung vorbereitet, wurden Installationen und Illustrationen erdacht, um das Thema „Zahlen“ als Eingangstor in die Welt der Mathematik für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Der Versuch, hier eine Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, ist den Machern gut gelungen. Info: www.hnf.de