Neue Dauerausstellungen im Museum für Naturkunde Berlin

Schönes Bild: Auf einem runden Polstermöbel im Treppenhaus des Museum für Naturkunde liegen Schüler, junge und nicht mehr ganz so junge Menschen bequem auf dem Rücken und schauen nach oben zum Dach. Von hier senkt sich aus 14 Metern Höhe ganz langsam eine runde Leinwand, auf der von oben die Geschichte des Universums vom Anfang bis zur Gegenwart projiziert wird. Der begleitende Ton kommentiert die Bilder. Als die Leinwand schon ziemlich nah ist, kristallisiert sich ein kleiner blauer Planet heraus: die Erde. Sie wird größer, die Kontinente sind zu entdecken. Immer näher kommt die Leinwand. Schließlich schaltet die Darstellung auf das Google Earth-ähnliche Terravision um, zeigt die Häuserschluchten von Berlin, schließlich das Museum von Naturkunde von oben, fährt durch die Decke – und zeigt die winkenden Besucher auf dem Polster im Originalbild. Möglich wird dieser Trick durch eine Kamera, die an der beweglichen Leinwand fixiert ist und im Moment, wenn die Darstellung „das Dach durchbricht“ automatisch startet. Jubel brandet auf. Die Leinwand fährt wieder hoch . . . Die neue Dauerausstellung „Evolution in Aktion“ im Museum für Naturkunde hat sich vom Start an zur Erfolgsstory entwickelt. Gerade mal zwölf Wochen nach Eröffnung wurde am 5. Oktober 2007 um 12.30 Uhr der 250.000ste Besucher in den neuen Ausstellungen vom Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin, Dr. Hans-Gerhard Husung, dem Generaldirektor des Museums für Naturkunde, Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, sowie dem Leiter der Abteilung Ausstellung und Öffentliche Bildung, Dr. Ferdinand Damaschun, begrüßt. Staatssekretär Husung ist begeistert. „Erfolg ist eine Mischung, die mit Zeit zu tun hat, und in so kurzer Zeit so viele Besucher zu haben, ist Erfolg. Jeder der das erste Mal in dieses Museum kommt, wird wieder kommen und sich genauer informieren“, so Husung. Über den Erfolg und die  Funktionalität der neuen Ausstellungen freut sich insbesondere der Generaldirektor des Museums, Prof. Leinfelder. „Soviel Besucher hatten wir vor der Restaurierung im ganzen Jahr und nun bereits nach drei Monaten“, freut sich Leinfelder.Die neuen Dauerausstellungen zeigen unter dem Motto „Evolution in Aktion“ die Entwicklung des Kosmos, der Erde und des Lebens in Beziehung zueinander. Mit ihrer Eröffnung ging ein über zwei Jahre dauernder intensiver Bauabschnitt zu Ende, in dem ein Drittel der Ausstellungsfläche des Museums komplett restauriert und inhaltlich neu gestaltet wurde. Gleichzeitig war dies der Beginn der Umsetzung eines neuen Konzepts, das Wissenschaft und Forschung einem breiten Publikum besser zugänglich macht. Die neuen Ausstellungen des Museums für Naturkunde präsentieren deshalb deutlich stärker als bisher die Forschung des Hauses und unterstreichen die immense wissenschaftliche, aber auch kulturelle Bedeutung der großen Sammlungen mit ihren 30 Millionen Objekten. Neben einer innovativen Präsentation von Inhalten und der Berücksichtigung neuester Erkenntnisse in den Ausstellungen zählt dazu ein intensives Begleitprogramm, das regelmäßige Film-, Führungs- und Vortragstermine vorsieht.Das Museum für Naturkunde ist eine der ältesten musealen Einrichtungen in Berlin. Seine Geschichte geht bis vor die Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 zurück. In den ersten Jahrzehnten nach 1810, in denen die Sammlungen im Hauptgebäude der Universität Unter den Linden untergebracht waren, gab es keine Ausstellung im heutigen Sinne – die Sammlung diente in erster Linie der studentischen Ausbildung und der Forschung. Für das Publikum waren sie nur nach vorheriger Anmeldung zugänglich.Erst mit dem Einzug in die Invalidenstraße wurden 1889 im Erdgeschoss des Gebäudes die sogenannten Schausammlungen, also von den wissenschaftlichen Sammlungen getrennte Ausstellungen, eingerichtet. Von Anfang an ruhte das Museum auf drei Säulen: Sammlung, Forschung, Ausstellung. Mit der Konzeption der vier neuen Dauerausstellungssäle, deren Realisierung über Mittel der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und der Europäischen Union (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung/EFRE) ermöglicht wurden, besteht nun die Möglichkeit, der neuen „alten“ Philosophie des Museums für Naturkunde gerecht zu werden: als Kommunikationszentrum zwischen Wissenschaft und Bevölkerung aufzutreten. Deshalb wurden bei Konzeption und Umsetzung zwei wichtige Vorgaben beachtet. Zum einen sollten die Ausstellungsinhalte von Wissenschaftlern des Hauses erarbeitet werden, zum anderen sollten bei der Objektauswahl – wo immer möglich – zuerst Originale aus den Sammlungen des Museums berücksichtigt werden.Über 40 Wissenschaftler des Berliner Museum für Naturkunde haben gemeinsam mit dem Gestaltungsbüro Art+Com aus Berlin an der Konzeption und Umsetzung der neuen Ausstellungen mitgewirkt und damit neben ihrer Forschung eine zusätzliche Aufgabe übernommen. Von den ersten Ideen über die Auswahl der Objekte bis hin zu den Texten und Grafiken wurde so sichergestellt, dass das Tagesgeschäft des „Forschungszentrums Naturkundemuseum“ auch in den Ausstellungen zu finden ist. Damit kehrt das Museum gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück, Forschung, Ausstellung und Sammlung bilden wieder eine Einheit.Wie in einer Art Werkstattbericht zeigt das Berliner Museum die Wirkung und das Werk der Evolution – von der Entstehung des Kosmos und der Erde, über das Leben und Sterben der Dinosaurier, von der Entstehung und Wanderung der Kontinente, von Vulkanen und Meteoriteneinschlägen bis hin zu den Mechanismen und Phänomenen, die die Vielfalt des Lebens und der Arten hervorgebracht haben. Das beginnt gleich zu Beginn, wenn der Besucher den großen, nach historischem Vorbild detailgetreu renovierten Lichthof des Naturkundemuseums betritt. Dem Besucher präsentiert sich jedoch kein fiktiver „Jurassic Park“ – das Museum zeigt keine Fantasiegebilde, sondern das, was von den damals tatsächlich lebenden Tiere erhalten ist und die Wissenschaft wirklich kennt: Originalskelette und Gesteinsabdrücke sowie jene Befunde, die sich daraus ableiten lassen. Diese „Befunde“ werden hier beispielsweise mit den Juraskopen dargestellt, die Art+Com, Generalplaner für die Ausstellung und die Medien der neuen Dauerausstellungen, entwickelt haben. Die sieben Juraskope – zwei davon barrierefrei installiert – im Lichthof stellen die Verbindung zwischen dem Besucher bekannten Darstellungen von Dinosauriern im Kino und den Originalexponaten her. Blickt der Besucher durch das Fernrohr, sieht er zunächst die Skelette im Saal. Er kann einen Saurier auswählen und startet so eine Animation des Tiers: Seinem Skelett wachsen Muskeln und Haut; das Tier wird in seine natürliche Lebenswelt versetzt und beginnt sich in ihr zu bewegen, zu fressen, zu jagen. Bei der Lebenddarstellung hört der Besucher lokal die Geräuschkulisse der Animation. Die Animationen entstanden in enger Abstimmung mit dem Museum für Naturkunde und seinem Paläontologen Kristian Remes, der für die wissenschaftliche Korrektheit der Darstellungen sorgte.Ein weiterer Höhepunkt im Lichthof ist das Berliner Exemplar des Urvogels Archaeopteryx lithographica. Diese versteinerte Übergangsform zwischen Dinosauriern und Vögeln ist das bedeutendstes Fossil des Museums für Naturkunde und wird nun dauerhaft im Original ausgestellt. Seine von der Firma Wall aus Berlin finanzierte Hochsicherheitsvitrine ist zugleich Schauvitrine und Forschungslabor, in dem die Besucher mit etwas Glück den Wissenschaftlern, die den Urvogel untersuchen, bei den Arbeiten zuschauen können.Im nächsten Saal mit der Bezeichnung „System Erde“ werden die Prozesse thematisiert, die das Erscheinungsbild der Erde geprägt haben und immer noch prägen. Dieser Ausstellungsbereich ist die Klammer für alle Forschungsdisziplinen des Museum; es geht um die Darstellung des komplexen Netzwerkes belebter und unbelebter Natur. Mediale Schlüsselinstallation des Saals ist ein Globus von drei Metern Durchmesser, der allein durch seine Größe und Ausleuchtung die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zieht. Ein großformatiger Bildschirm umfährt den Globus und liefert in verschiedenen Filmen Informationen zu den Themengebieten des Saals. Dazu zählen Vulkanismus, Artenbildung oder Plattentektonik. Die Besucher haben die Möglichkeit, sich einzelne Information selbst zu erarbeiten – zum Beispiel die Auswirkungen, die ein großer Meteoriteneinschlag auf Menschen und Umwelt hat.Weiter geht es im Saal „Evolution in Aktion“. Dem Besucher präsentiert sich zunächst ein faszinierendes Bild der Artenvielfalt – ein Querschnitt durch die Tierwelt, dargestellt in Form einer großen „Biodiversitätswand“. Anschließend wird in diesem Saal erklärt, wie es zu dieser Vielfalt kommt und welche entscheidenden wissenschaftlichen Schritte zu einem besseren Verständnis der zugrunde liegenden Vorgänge und Mechanismen geführt haben. Mediale Unterstützung leistet eine interaktive Installation von Art+Com in Form eines „liegenden“ Touchscreens mit Multiuser-Bedienbarkeit, der einen spielerischen Zugang zum „Baum des Lebens“ bietet. An dem Baum, der die Genealogie der Tiere visualisiert, erscheinen für den Besucher wählbare Fragen. Sie korrespondieren zur Struktur des Stammbaums, Tiergruppen odereinzelnen Tieren. Wenn der Besucher die Frage berührt, erscheint nicht nur die Antwort in Textform sondern auch ein Foto oder ein Film zum Thema. Konzipiert wurde die neue Dauerausstellung von einem Expertenteam unter der Leitung von Prof. Joachim Sauter, Art+Com, und Prof. Ulrich Schwarz, Bertron & Schwarz. Art+Com setzte sich im Team mit Bertron & Schwarz sowie der Schiel Projektgesellschaft 2004 in einem internationalen Wettbewerb gegen 50 Mitbewerber durch. Die inhaltliche Arbeit erfolgte in enger Kooperation und unter der Leitung der Wissenschaftler des Museums für Naturkunde. Aurelia Bertron zeichnet sich verantwortlich für die Ausstellungsgrafik, Planung und Aufbau der Ausstellung verantworteten Daniel Schiel und Dorit Rudolph von der Schiel Projektgesellschaft. Am Projekt wirkten unter anderem auch Delux und Studio Dinnebier für die Beleuchtung, Complexx für den Vitrinenbau, Expotec für die Medientechnik und Museumstechnik für den Ausstellungsbau mit.Info: www.naturkundemuseum-berlin.de